Galleri Susanne Ottesen
Christoph Schreier
In der Arena der Bilder. Neue Arbeiten von Olav Christopher Jenssen in der Galleri Susanne Ottensen, 2022.
(Exhibition text- DE)
Olav Christopher Jenssen, Another Pale Afternoon / The Post-Rubicon Paintings
19 November 2021 – 22 January 2022
Wer mit Olav Christopher Jenssens Bildkunst vertraut ist der weiß, dass er – Ausnahmen bestätigen auch in diesem Fall die Regel! – ein Faible für gestauchte Hochformate hat. Das lässt seine Bilder in der Gesamterscheinung kompakt, manchmal fast ‘stämmig’ wirken – wie malerische Behauptungen, die man nicht so leicht zur Seite schieben kann. Ihre immer raumbeherrschende ‘Standfestigkeit’ folgt dabei einer ästhetischen Logik, die sich jedem Betrachter schon in der Erstbegegnung erschließt. Denn die kompakten Formate liefern den formalen Gegenpol zu den überaus lebendigen malerischen Binnenwelten, die sich auf der Fläche der Leinwände entfalten. Hier zeigen sich changierende Farbbewegungen, fließende Formen, manchmal fast an gehäkelte Vorhänge erinnernde Lineamente, deren unterschiedliche Bewegungsenergien eines Kontrapunkts bedürfen, den die eben beschriebenen, grundsätzlich stabilen Bildformate liefern. In diesem Sinn definiert sich Jenssens Malerei als Bild-Kunst, die sich mit souveräner Selbstverständlichkeit gegen das modische Paradigma der formalen Entgrenzung stellt. Nicht Expansion, sondern Konzentration ist sein Prinzip und insofern ähneln seine Werke, pointiert gesprochen, ‘Containern’, in denen er eine ganze Menge an Form- und Farberlebnissen, ‘Sensations colorantes’ hätte Cézanne wohl gesagt, zur Anschauung bringt.
Da ist wahrlich viel Augenfutter geboten und nichts ist Jenssen fremder als die asketische Magersucht des Konzeptualismus. Stattdessen frönen seine zwischen dramatischen und lyrischen Passagen changierenden Bravourstücke einem Höchstmaß an Sinnlichkeit, auch wenn ihnen nichts direkt Fleischliches – man denke etwa an Lovis Corinths laszive Akte – unterlegt ist. Entsprechend treffen wir in der Ausstellung bei Susanne Ottensen auf jederzeit opulente, fast ‘barocke’ Bilder, in denen die Prozessualität die Haptik und Statik der Formen fast gänzlich aufgelöst hat. Selten findet das Auge da sicheren Halt, eher wird es dazu eingeladen, den Bewegungsimpulsen der Malerei über die ganze Bildfläche, bis in die letzten Winkel hinein, zu folgen.
Dies gilt auch für ein noch unbetiteltes Großformat des Jahres 2021dessen rot-brauner, mit türkisfarbigen Einsprengseln versetzter Grundton von einem weißen Liniengespinst überlagert wird. (1) Es ‘weht’ von rechts in das Bild hinein und konkretisiert sich nach links hin zu abstrahierten Netz- oder (vielleicht) Blütenformen. Doch sind diese gänzlich immateriell – ephemer wie die geisterhaften Gestalten in Tintorettos Bergung des Leichnams des heiligen Markus (2) – ,da sie letzten Endes nur die oberste Ebene einer Schichtenmalerei darstellen, die sich von unten nach oben, vom Dunklen zum Hellen aufbaut und schrittweise die ganze Bildfläche besetzt. In toto stellt sich das Gemälde als ein unregelmäßiges, visuell kaum zu durchdringendes Farbgewebe dar, das Jenssen, der in der künstlerischen Arbeit nie einem vorgefassten Plan folgt, in einem Prozess von Aktion und Reaktion angelegt hat. Zielpunkt dürfte ein Höchstmaß an gestalterischem Reichtum sein, der für den Betrachter den angenehm-unangenehmen Nebeneffekt der latenten Überforderung mit sich bringt. Denn Auge und Verstand kommen im Versuch der Systematisierung dieser überaus variablen Bilderscheinungen schnell an ihre Grenzen, leicht bekommt man diese Gemälde wahrlich nicht in den Griff…
Und das ist gut so! Wir bewegen uns nämlich in einer Welt der Erscheinungen in der nichts eine finale Gültigkeit besitzt. Nur eine minimale Augenbewegung nach links oder nach rechts, nach oben oder nach unten lässt uns wieder Neues entdecken und manchmal ähnelt Jenssens Bildkunst dem Blick in ein Kaleidoskop: jede Bewegung erzeugt neue Konstellationen. So scheint in seiner Malerei alles im Werden, im Entstehen begriffen zu sein – was gestalterischen Konstanten aber keineswegs ausschließt. Zu diesen gehören, wie eingangs gesagt, die kompakten Bildformate, zugleich aber auch das Arbeiten in Werkreihen. Jenssen ist kein postmoderner Trapezkünstler, der sich von einer Bildidee zur anderen schwingt, sondern ein durchaus systematischer Arbeiter, der formale Themenstellungen, Farb- und Formkonstellationen über lange Zeiträume, in variantenreichen Gemäldefolgen erprobt.
Zu den allerneuesten Werkreihen gehören nun auch ‘brettartige’ Querformate, die bislang in seinem Werk nicht anzutreffen waren. Sie besitzen eine Strahlkraft und atmosphärische Dichte in denen man einen späten Nachhall impressionistischer Malerei sehen könnte, wäre da nicht die Vehemenz der Pinselzüge, die dem Bild alles Zarte und Gefällige austreibt. Ein blau-violettes, punktuell durch Olivtöne ergänztes Gemälde zeigt beispielsweise eine etwas versteckte Struktur von vertikalen und auch horizontalen Pinselstrichen – ein Fenstermotiv? -, die durch ein Stakkato horizontaler Pinselzüge annuliert wird. (3) Es konzentriert sich auf die Bildmitte, die, als Zentrum, sowohl durchgestrichen und ausgelöscht als auch malerisch besetzt wird. Die Feier der vitalen Malergeste schlägt in eine Attacke auf das Bild um, Idolatrie verbindet sich mit Ikonoklasmus, ohne dass klar wird, was letzten Endes die Oberhand behält. Gestalten, Überlagern, Auslöschen und Zerstören fallen bei Jenssen oft in eins und produzieren im Wechselspiel eine formale Komplexität, die in der Gegenwartsmalerei ihres Gleichen sucht. Leidet nicht auch sie unter einem grassierenden Artenschwund? Umso schöner – und beruhigender – ist daher die Begegnung mit einem Werk wie dem von Olav Christopher Jenssen, das auf jedem Quadratzentimeter Leinwand die ganze Fülle malerischen Reichtums inszeniert.
- Olav Christopher Jenssen, Ohne Titel, Öl auf Leinwand, 195 x 185 cm, Privatbesitz
- Jacopo Tintoretto, Die Bergung des Leichnams des heiligen Markus, 1562-1566, Öl auf Leinwand, 398 x 315 cm, Galleria dell’Accademia, Venedig
- Olav Christopher Jenssen, Ohne Titel, Öl auf Leinwand, 51 x 86 cm, Privatbesitz